Geodätische Instrumente der Universität Hannover Teil 1
Geodätische Rechenhilfsmittel für Landes- und Ingenieurvermessung aus historischer Sicht Die Sammlung des Geodätischen Instituts der Universität Hannover
Rainer Heer, Hannover
Teil 1 des Vortrags, gehalten beim 2. Greifswalder Symposium zur Entwicklung der Rechentechnik 12. - 14. September 2003, erschienen in Girbardt/Schmidt 9-2003
Im Rechnerlexikon mit freundlicher Genehmigung des Verfassers.
- Geodätische Rechenhilfsmittel für Landes- und Ingenieurvermessung aus historischer Sicht
Die Sammlung des Geodätischen Instituts der Universität Hannover - Teil 1: Die Entwicklung der Fachrichtung Vermessungswesen
- Teil 2: Entwicklung der Rechentechnik im Bereich des Geodätischen Institutes
- Teil 3: Literatur
1 Die Entwicklung der Fachrichtung Vermessungswesen
Die Fachrichtung Vermessungswesen ist eine der zwei Fachrichtungen (Studiengänge) der Fakultät Bauingenieur und Vermessungswesen und besteht jetzt aus vier Instituten, die die Forschung und Lehre im Bereich der Landes- und Ingenieurvermessung, Photogrammetrie, Kartographie und Erdmessung an der Universität Hannover vollständig abdecken. Im Jahre 1881 wurde mit der Ernennung von Professor W. Jordan zum Inhaber des Lehrstuhls für Geodäsie der Grundstein für die Entwicklung intensiver, wissenschaftlich fundierter Lehr- und Forschungsaktivitäten in allen Bereichen des Vermessungswesens gelegt. Durch den Erlass des Preußischen Kultusministers vom 1.8.1930 wurde es an der damaligen Technischen Hochschule Hannover möglich, das Studium des Vermessungswesens mit dem Diplomgrad abzuschließen. Damit war das Fach Vermessungswesen als selbständiger Studiengang etabliert. Die Tabelle 1 zeigt die historische Entwicklung der Fachrichtung Vermessungswesen von 1831 bis heute in kurzen Worten.
1831 | Gründung der Höheren Gewerbeschule zu Hannover durch K. Karmarsch (Direktor 1831-1875) aus Wien |
1831 - 1834 | Artillerie-Kapitän F. Hartmann, Ausbildung in Feldmessen, Praktischer Geometrie u. Geometrische Zeichnen</TaD> |
1834 - 1843 | Major A. Deichmann |
1843 - 1881 | G. Hunaeus |
1847 - 1853 | Erweiterung der Höheren Gewerbeschule zur Polytechnischen Schule |
1857 | Ernennung von G. Hunaeus zum Professor |
1853 - 1876 | Erweitertes Lehrangebot im Fach Praktische Geometrie mit Vorlesungen und Übungen |
1876 - 1879 | Übergangsphase der Polytechnischen Schule zur Technischen Hochschule mit Einrichtung von Fachbereichen |
01.04.1879 | Amtliche Benennung zur Kgl. Technische Hochschule, Umzug in das Welfenschloss |
1879 | weiterer Ausbau zur Technischen Hochschule durch Prof. G. Hunaeus |
27.08.1880 | Genehmigung des Verfassungs-Statuts der Kgl. Technischen Hochschule zu Hannover durch den Preußischen Kaiser |
ab 1880 | Vorlesungen und Übungen in den Fächern: Praktische Geometrie, Tachymetrie und Aneroid-Messungen |
01.01.1882 | Ernennung von Prof. W. Jordan aus Württemberg zum etatsmäßigen Professor der Geodäsie |
01.10.1899 | Prof. C. Reinhertz |
01.10.1907 | Prof. K. Oertel (Astronom aus Bayern) |
01.04.1927 | Prof. P. Gast Ernennung zum ord. Prof. für Geodäsie und Leiter des Geodätischen Institutes |
1927 | Einzug des Geodätischen Institutes in das Gebäude Nienburger Straße 1, gebaut 1926 (Architekt Franz-Erich Kassbaum) |
1927 | Einrichtung eines photogrammetrischen und kartographischen Labors |
01.08.1930 | Erlass des Preußischen Kultusministers zur Ablegung der Diplomprüfung in Hannover |
1937 | 1. Staatsprüfung für das Vermessungswesen ist die Diplomprüfung |
1939 - 1943 | Prof. Feyer wird dem Geodätischen Institut zugeteilt |
1940 | Interimsleitung des Geodätischen Institutes durch Privatdozent R. Finsterwalder |
1943 | Ernennung von R. Finsterwalder zum ord. Prof. für Vermessungswesen und Direktor des Geodätischen Institutes |
1943 | Ernennung von W. Großmann zum o. Prof. für Vermessungswesen |
1948 | R. Finsterwalder folgt einem Ruf an die TU München, Photogrammetrievorlesungen durch Privatdozent H. Lichte |
1948 | W. Großmann wird Direktor des Geodätischen Institutes |
1949 | Prof. G. Lehmann übernimmt die Nachfolge von R. Finsterwalder |
1949 | Das Institut für Photogrammetrie und Ingenieurvermessungen wird eingerichtet |
1950 | Habilitation von Oberingenieur H. Lichte für die Fächer Geodäsie und Photogrammetrie |
1952 | K. Pilowski erhält eine Dozentur für Astronomie |
1953 | Privatdozent H. Lichte folgt einem Ruf an die TH Karlsruhe |
1953 | V. Heißler (Assistent am Geodätischen Institut) erhält eine Dozentur für Topographie. |
1954 | K. Pilowski wird zum apl. Professor ernannt |
1956 | V. Heißler wird zum apl. Professor ernannt |
1963 | Einrichtung der Lehrstühle für Theoretische Geodäsie (Institut für Erdmessung) und Topographie und Kartographie (Institut für Kartographie) |
1968 | Prof. W. Höpcke wird Direktor des Geodätisches Institutes als Nachfolge von W. Großmann |
1971 | Einrichtung der Stelle eines Abteilungsvorstehers und einer Professur für Geodätische Messtechnik am Geodätischen Institut |
1971 | Berufung von H. Pelzer auf die Professur für Geodätische Messtechnik |
seit 1977 | Prof. H. Pelzer wird Direktor des Geodätischen Institutes als Nachfolge von W. Höpcke |
1978 - 1986 | H. Kahmen wird auf die Professur für Geodätische Messtechnik berufen |
1986 | Prof. H. Kahmen folgt einem Ruf an die TU Wien |
seit 1986 | Geschäftsführende Leitung des Geodätischen Institutes durch Prof. H. Pelzer |
2000 | Berufung von Prof. Th. Kötter auf die neugeschaffene Professur Liegenschaftswesen, Planung und Bodenordnung. |
2001 | Institut für Kartographie wird Institut für Kartographie und Geoinformatik |
2001 | Institut für Photogrammetrie und Ingenieurvermessungen wird Institut für Photogrammetrie und Geoinformation |
2002 | Inkrafttreten des Neuen Niedersächsischen Hochschulgesetzes, Fachbereiche werden Fakultäten |
2003 | Prof. Th. Kötter nimmt den Ruf auf die Professur für Städtebau und Siedlungswesen an der Universität Bonn an |
Tabelle 1: Historische Entwicklung der Fachrichtung Vermessungswesen
Die Projekt- und Forschungsaktivitäten liegen nach Tabelle 2 für die Professur Allgemeine Vermessungskunde unter Berücksichtigung der Lehrgebiete auf folgenden Bereichen:
1.1 Lehrgebiet Landesvermessung
Die praktische Grundlage des Vermessungswesens im weitesten Sinne liegt in den Arbeiten zur Schaffung eines weit gespannten Vermessungsnetzes für die vielfältigsten Anwendungen und Nutzungen begründet. Basis dafür sind die Arbeiten auf dem Gebiet der Landesvermessung in den Festpunktfeldern, die sich in das Lage- und Höhenfestpunktfeld aufteilen.
Das Lagefestpunktfeld wird durch das Trigonometrische Festpunktfeld (TP-Feld) definiert und umfasst alle trigonometrischen Punkte (TP). Für die Einrichtung, Erhaltung und Erneuerung des TP-Feldes sind die Landesvermessungsämter bzw. deren Nachfolgeinstitutionen, wie z. B. Landesbetriebe o. ä., zuständig. Grundlage für den Netzmaßstab, die Lagerung und Orientierung ist das Deutsche Hauptdreiecksnetz (DHDN) auf der Bezugsfläche des Bessel-Ellipsoids.
Die Abb. 2.1 zeigt das Deutsche Hauptdreiecksnetz von 1990 mit historischen Dreiecksketten und Dreiecksnetzen mit seinen Netzblöcken. Auf die Entstehungsgeschichte wird an dieser Stelle nicht näher eingegangen. Für die TP werden ebene rechtwinklige Koordinaten im Gauß-Krüger-Meridianstreifensystem bestimmt. Das TP-Feld ist hierachisch in TP-Netze der Ordnung 1 bis 4 wie folgt gegliedert:
- TP (1) für TP 1. Ordnung (=Punkte des DHDN u. d. Zwischenpunktnetzes)
- TP (2) für TP 2. Ordnung,1 TP auf 50-100 km²
- TP (3) für TP 3. Ordnung, 1 TP auf ca. 5 km²
- TP (4) für TP 4. Ordnung, 1 TP auf ca. 1 km².
Die Lage der TP kann durch eines der folgenden Vermessungsverfahren bestimmt werden:
- Triangulation (Winkel- bzw. Richtungsmessungen im Dreieck)
- Trilateration (Streckenmessungen im Dreieck)
- TP-Zug (Winkel- und Streckenzüge)
- Nutzung von Satellitensignalen des Global Positioning Systems (GPS)
Die folgende Abb. 3 zeigt das Messprinzip bzw. die Vorgehensweise bei der Schaffung eines weit spannenden Grundlagenetzes von der Festlegung eines hochgenauen, in geographischen Koordinaten definierten Zentralpunktes, über die Orientierung bzw. Lagerung des Netzes bis hin zur Definition des Netzmaßstabes durch Basisvergrößerungsnetze. Die Schaffung eines dreidimensionalen übergeordneten Referenznetzes durch die Nutzung der Satellitenmesstechnik soll bei der historischen Betrachtung hier nicht weiter erörtert werden.
Das trigonometrische Festpunktfeld ist für die Katastervermessung oder die topographische Landesaufnahme noch zu weitmaschig. Aufnahmepunkte (AP's) sind die dem TP-Feld nachgeordneten Lagefestpunkte. Das AP-Feld dient insbesondere der Einführung von Gauß-Krüger-Koordinaten für sämtliche Grenzpunkte. Die Lage der AP wird außer durch die bereits im TP-Feld eingesetzten Verfahren der Richtungs- und Streckenmessung in Dreiecken (Triangulation und Trilateration) insbesondere durch Polygonierung bestimmt.
Damit ist die Schaffung eines Lagefestpunktfeldes abgeschlossen. Wenden wir uns nun kurz dem Höhenfestpunktfeld zu.
Zur gegenseitigen Festlegung von Punkten auf der Erdoberfläche ist auch die Angabe der Höhen erforderlich. Dabei versteht man unter der Höhe eines Punktes seinen senkrechten Abstand von einer Bezugsfläche. Die amtlich festgelegte Bezugsfläche für alle Höhenmessungen in Deutschland ist die Normal-Null-Fläche (NN). Sie fällt ungefähr mit dem Mittelwasser an der deutschen Nordseeküste zusammen und verläuft 37.000 m unter dem Normalhöhenpunkt von 1879 und 54,638 m unter dem NH von 1912. Er wurde 1879 an der früheren Berliner Sternwarte festgelegt. 1912 musste er an die Straße Berlin - Küstrin 40 km östlich von Berlin verlegt werden. Dort bilden unterirdische Festlegungen (UF) den NH von 1912; die Bezugsfläche NN wurde beibehalten. Die Höhe des NH beträgt 54,638 m über NN. Über der Bezugsfläche ist im Anschluß an den NH von 1912 durch geometrische Höhenmessungen (Nivellement) ein neues Höhenfestpunktnetz, das Nivellementpunktfeld, aufgebaut worden.
Neuberechnungen führten ab 1990 zum Deutschen Haupthöhennetz 1985. In der ehemaligen DDR wurde 1956 das Staatliche Nivellementnetz 1956 (SNN 56) eingeführt, das sich auf den Pegel Kronstadt bezieht. Die Höhen wurden als Höhen über Höhennull (HN) bezeichnet. Neuberechnungen führten zum SNN 76. Das gesamtdeutsche Nivellementnetz wurde neu berechnet und führt die Bezeichnung "Deutsches Haupthöhennetz 1992 (DHHN 92)." Das DHHN 92 erhält aus Gründen der Vereinheitlichung der Höhen in Europa sein Niveau vom derzeit gültigen Reseau Européen Unifié de Nivellement (REUN) 86. Die Höhen des DHHN 92 beziehen wie die früheren NN-Höhen ihr Niveau vom Pegel Amsterdam.
Das DHHN umfasst alle Nivellementpunkte (NivP) und soll als Grundlage für weitere örtliche Höhenmessungen dienen. Das Nivellementpunktfeld ist nach Ordnungen in Nivellementnetze (Höhennetze) gegliedert, die alle aus zusammenhängenden Nivellementschleifen bestehen. Die Nivellementschleifen bestehen aus den von Knoten zu Knoten führenden Nivellementlinien, die sich ich rerseits aus einzelnen Nivellementstrecken zusammensetzen. Als Knotenpunkt bezeichnet man Nivellementpunkte, an denen mindestens. 3 Nivellementlinien zusammentreffen. Der Netzaufbau ist daher folgendermaßen strukturiert:
- NivP-Netz 1. Ordnung
- NivP-Netz 2. Ordnung
- NivP-Netz 3. Ordnung
1.2 Lehrgebiet Ingenieurvermessung
Die Errichtung baulicher Anlagen gliedert sich in die Planungs-, Ausführungs- und Nutzphase, die von erheblichen vermessungstechnischen oder ingenieurgeodätischen Arbeiten begleitet ist, zu denen im weitesten Sinne das Erfassen ortsbezogener Daten über Bauwerke und Anlagen, Grundstücke und Topographie, das Erstellen von Plänen, das Übertragen von Planungen in die Örtlichkeit sowie das Überwachen der Bauausführung zählt.
Mit den Aufnahmemessungen werden geometrische Größen des Ist-Zustandes eines Objektes erfasst. Auf der Grundlage eines Lage- und Höhenplanes erfolgt die geometrische Festlegung des Soll-Zustandes eines Objektes. Im Ergebnis dieser Projektierung entsteht ein Bauentwurf. Die Geometrie eines Bauwerkes oder einer Trasse ist mit der Absteckung in die Örtlichkeit zu übertragen und zu kontrollieren. Nach Fertigstellung ist das Objekt zur Beweissicherung und zum Nachweis von Bewegungen oder Verformungen messtechnisch zu überwachen. Daraus ergeben sich nach Abb. 6 zwangsläufig die Aufgaben der Ingenieurvermessung bei der Bauausführung und Baukontrolle. Das Geodätische Institut beschäftigt sich im Rahmen seiner Forschungsaufgaben mit der Entwicklung von Messverfahren zur Überwachung von Gebäuden, Ingenieurbauwerken und Verkehrsanlagen sowie ihrer Erprobung an geeigneten Objekten.
Beispiele für entsprechende Projekte zur Erfassung von Bauwerksbewegungen bzw. ihren Deformationszuständen sind in der Abb. 7 zu sehen.
Abb. 6: Aufgaben der Ingenieurvermessung bei Bauausführung und Baukontrolle und Aufgabenbereich des Geodätischen Institutes
Diese Seite ist geschützt. Sie darf nur
vom Autor oder einer beauftragten Person verändert werden.
Falls Sie mit dem Inhalt nicht einverstanden sind,
machen Sie bitte einen Eintrag bei der Diskussion und schicken dem Autor eine Mail.