Norma, ein Wirschaftswunder
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1 Die NORMA - Rechenscheibe, ein Wirtschaftswunder
Hartmut Koch, BarsbüttelVortrag, gehalten beim 2. Greifswalder Symposium zur Entwicklung der Rechentechnik 12. - 14. September 2003, erschienen in Girbardt/Schmidt 9-2003
Im Rechnerlexikon mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
Um das Produkt umfassend zu beurteilen, gehört neben dem Vertrieb, dem Herstellungsprozess auch das wirtschaftliche Umfeld dazu. Dabei bin ich auf interessante Parallelitäten der Wirtschaftswunder - und der Nachwendezeit gestoßen.
Allgemein sagt man, daß mit Einführung der D-Mark auch das Wirtschaftswunder kam, dem ist nicht so! Am 20. Juni 1948 wurde in Westdeutschland die DM eingeführt, in West-Berlin am 23. Juni nachgezogen. Sofort waren die Schaufenster voller Ware. Gleichzeitig wurde die Preisbindung aufgehoben, die Preise explodierten. Selbst Dinge für das tägliche Leben sind kaum bezahlbar. Am 12. November 1948 erfolgt ein Generalstreik, da wir bereits 2 Mill. Arbeitslose hatten. Viele aus dem Heer der Arbeitslosen traten den Weg in die Selbständigkeit an und wurden erfolgreiche Unternehmer.
Am 25. Juni 1950 wird der Kalte Krieg heiß als Nordkorea den 38. Breitengrad überschreitet. Die folgende Aufrüstung brauchte dringend Rohmaterial, und Schrott hatten wir ja genug. Dadurch boomt die Wirtschaft, das Wirtschaftswunder nahm seinen Anfang. Um 1955 lockerten die Alliierten die Herstellungsverbote für Schiffe, Flugzeuge, Rechnern, Instrumente etc..
Am 1. Dez. 1958 endet die Devisenbeschaffung, die DM wird voll kompatibel.
Soweit das Umfeld, in dem die NORMA-Rechenscheibe geboren wird.
1.1 Der Anfang
1955/56 entwickelte Herr Siegurd Böhm, geb. 1923, seine ersten allgemeinen Rechenscheiben in der Firma Rieger, Memmingen (Firmen-Logo s. Abb. 8 ), die unter dem Namen Rieger vertrieben wurden. Und zwar als universale Rechenscheibe die RONDA ( Abb. 1 ) und als kaufmännische Scheibe die MERKURIA ( Abb. 2 ).
Alle NORMA-Rechenscheiben mit der zusätzlichen Modellbezeichnung 190 haben einen Außendurchmesser von 190 mm, entspricht einer RST-Skalenlänge von 50 cm (Schreibtischformat).
1959 scheidet Herr Böhm aus der Firma Rieger aus und gründet die Firma NORMA-Mechanik, HR-Eintrag ca. 1959.
Herr Böhm begann in bescheidenen Räumen und besaß lediglich einen Mercedes, um bei seinen Verkaufsfahrten den Eindruck eines bereits etablierten Geschäftsmannes zu machen. Teilweise übernachtete er auch im Auto, wenn die Außendiensttätigkeit mager ausfiel und das Geld nicht so hereinkam. Er lebte von der Hand in den Mund, da Hersteller und Verkäufer in einer Person, typisch für die Wirtschaftswunderzeit.
1.2 Die Fertigung
Das Ausgangsmaterial ist ein 440 x 400 mm großes und 0,8 mm starkes Alu-Blech für jeweils 4 Scheiben. Hier 1/4 - Teil, bezeichnet mit der Lage im Ausgangsmaterial - 2 unten rechts - . ( Abb. 2 )
Dieses Blech wird im Offsetdruck gleichzeitig für 4 Rechenscheiben mit den Skalen bedruckt. In diesem Beispiel MERKURIA. Danach wird das Blech geviertelt und aufgrund der aufgedruckten Kennung, z.B. unten rechts ( Abb. 2 ), jeweils als Fertigungslos mit ca. 250 Stück separat weiter bearbeitet. Das ist wichtig, da druckbedingt die Skalen nicht rund, sondern leicht oval ausfallen, und somit die Toleranz enger gehalten werden kann.
Ein besonderes Zentrierungssystem wurde von Herrn Böhm entwickelt und ab 1995 durch
Herrn Ens verbessert. Schon bei einer Abweichung im Zentrum von 1/80 mm gibt es einen erkennbaren Rechenfehler.
Als Folgeschnitt wird dann ein 13,5 mm ( Loch gestanzt und die äußere ( Abb. 3 ) von der inneren Scheibe ( Abb. 4 ) getrennt.
Alle inneren Scheiben (Abb. 4) eines Fertigungsloses werden eng auf eine Welle gespannt, um auf der Drehbank einen leichten Span abzudrehen. So dreht sich dann später beim Rechnen die Scheibe leicht.
Bis einschließlich 1964 wurden beide Scheiben in den 5 x 4 mm Alu-Rand eingelegt, sowie eine Bodenplatte aus 0,6 mm starkem Stahlblech, auf der eine 0,4 mm starke Kunststoffolie aufgeklebt ist. Danach wurde der Alu-Rand gestaucht und somit Halt erzeugt.
Ab 1965, mit Einführung des 5 x 7 mm verchromten massiven Alu-Randes, wurde eine Kunststoff-Bodenplatte mit der 0,4 mm starken Kunststoffolie in den Alu-Rand eingeklebt und somit Halt erzeugt.
Mit der zentrisch verschraubten Kurzwelle und der Verschraubung des Läufers sind die wichtigsten Fertigungsschritte abgeschlossen. Vorteil gegenüber anderen Fabrikaten war, daß Innen- und Außenskala auf gleicher Höhe lagen, dadurch waren sie genauer (wie beim RST), außerdem zerkratzten die Skalen nicht und blieben sauber.
1.3 Vertrieb
Ab 1961/62 kam dann der Durchbruch mit der GAMBRINUS Rechenscheibe ( Abb. 5 ). Diese war eine spezielle Rechenscheibe für die Bierbrauer. Anläßlich einer Verkaufsfahrt hat Herr Böhm den Kontakt zu dem Brauereimeister Herrn Brauerei-Ing. Hugo Stallauer erhalten und mit diesem gemeinsam die Rechenscheibe entwickelt.
Der Vertrieb lief über einen Brauerei-Ausstatter, der den ersten Großauftrag erteilte. Um die Rechenscheibe bei der Arbeit ständig dabei zu haben, wünschte der Bierbrauerei-Ausstatter eine kleinere Rechenscheibe.
ca. 1964 kam die GAMBRINUS als erste aus der Modellreihe 100 mit einem Außendurchmesser von 100 mm, entspricht einer RST-Skalenlänge von 25 cm ( Taschenformat ) hinzu. Es folgten dann nach und nach in dieser Modellreihe 100 die TECHNIKUS ( Abb. 6), GRAFIA, MERKURIA und RONDA.
Die TECHNIKUS für das technische Rechnen wurde nur als Modell 100 hergestellt !
1965 kam dann eine weitere Spezialscheibe, die GRAFIA 190, heraus. Es wurde die RONDA mit einer roten Skalenmarkierung für das grafische Fachrechnen ergänzt.
1.4 Sonderanfertigungen nach Bedarf
ca. 1958 Die erste Sonder-Rechenscheibe war die KASIMILKA 190 (noch z.Zt. der Firma Rieger) für die Käse- und Milchverarbeitung ( Abb. 8 ).
Seit 1999 wird die Rechenscheibe "EURO-Kalkulator" für die Währungsumrechnung in Euro sowie für Multiplikation und Division in Scheckkarten-Format , auch mit Werbe-eindruck, hergestellt. Sie besteht aus 2 geklebten Alu- Blechen 0,8 und 0,5 mm.( Abb. 9 )
1.5 Herstellungsmerkmale
Es gibt keine Herstellungsvermerke wie Datum oder Nummer auf den Rechenscheiben. Lediglich eine Nummer auf der Rückseite von Außen- und Innenskala von 0 - 250 ( u.U. auch bis 800 ), die sich wiederholten, um die passenden Scheiben zusammenzubringen. Einzige Veränderung hier ist die Handschrift nach Übernahme der Firma durch Herrn Ens.bis 1964 bestand der Rand der 190 mm Scheiben aus umgebogenem Alu-Blech, 5 x 4 mm B/H
ab 1965 verchromter massiver Alu-Rand , 5 x 7 mm B/H ,
ab ca.1965 trapezförmiger Läufer, am Innendurchmesser 20 mm breit .
ab 1970/71 Änderung des Läufers auf 10 mm am Innendurchmesser (etwas schmaler ).
Bis heute werden die Rechenscheiben aus Tradition unverändert hergestellt, ca. 100 Stück pro Monat.
Bis 1993 wurden ca. 500 pro Monat hergestellt, max. 1000 Stück waren möglich. Bei größeren Mengen gab es dann Lieferzeiten bis zu 18 Monaten.
Alte Rechenscheiben werden heute noch repariert.
Es gab auf Messen mehrfach Auszeichnungen für gute Industrieform.
1999 Taschenrechner
Neuaufnahme der Produktion von elektronischen Taschenrechnern für spezielle Anwender, z.B. chem. Labore. Erstes Modell "chemcode" ( Abb. 10 ).
Ausstattung: Tastatur mit Periodensystem zweizeiliges Displaystöchiometrische Funktionen molekularbiologische Funktionen lexikale Funktionen
Abmessungen: 136 x 110 x 14 mm Vertriebsfreigabe: Juni 2001 Verkaufspreis : Euro 86,40 + MWST
Für Herstellungsmerkmale benutzt man einen Aufkleber mit Schlüssel für Software, Herstellungsjahr usw. .
Vertriebsweg: Vertrieb über Schreibwarenhändler, Bürofachhändler und Grafische Händler.
Es gibt z.Zt. ca. 200 - 220 regelmäßige Kunden.
Die Händler-Einkaufspreise betragen
Modell 100 ca. Euro 35.-- bis 41.-- Modell 190 ca. Euro 50.-- bis 66,--
1.6 Firmenentwicklung
1959 | NORMA-Mechanik Firmengründung durch Herrn Sigurd Böhm |
1970 - 1993 | NORMA-Mechanik 8966 Altusried-Schöneberg 3 |
1995 | Firmenübernahme durch den heutigen Inhaber Herrn Florian Ens, Stiefsohn vom Firmengründer Sigurd Böhm |
1995 - 1998 | NORMA-Mechanik, Inh. Florian Ens, 87435 Kempten , Immenstädter Str. 1 |
seit 1998 | NORMA-Mechanik, Inh. Florian Ens, 87439 Kempten , Westendstr. 39 |
Abbildungen:
bei den Abbildungen im Maßstab 1 : 1 ist der Multiplikant und der Multiplikator , 12 x 12 , eingestellt, und das Produkt ist ungefähr 144 .
Quellen:
Prospektangaben, Gespräche mit Herrn Ens im August 2001
Anschrift des Verfassers:
Hartmut Koch , Büromaschinen-Museum, D - 22885 Barsbüttel , Am Eichenhain 7 Tel. 040 - 710 61 80 Fax 040 - 710 28 28