Rückübertragungs-Systeme bei mechanischen Rechenmaschinen
Von Erhard Anthes, Markgröningen
(Erstpublikation in: Historische Bürowelt No. 39 (1994), S.31-32)
Bei der Berechnung von Produkten mit mehr als zwei Faktoren, z.B. a×b×c×d, muss man normalerweise nach der Multiplikation a×b das Ergebnis aus dem Hauptzählwerk mit der Hand in das Einstellwerk übertragen, dort also ziffernweise neu einstellen. Nach dem Löschen des Hauptzählwerks kann man mit dem dritten Faktor c multiplizieren, das Produkt muss wieder ziffernweise in das Einstellwerk übertragen werden, und nach Löschung des Hauptzählwerks kann nun mit dem vierten Faktor d multipliziert werden. Mit zunehmender Anzahl der Faktoren wächst die Gefahr, dass bei der Übertragung der Zwischenergebnisse aus dem Hauptzählwerk in das Einstellwerk Ziffern falsch eingestellt werden.
Rückübertragungssysteme sind mechanische Vorrichtungen, die durch Hebelzug, Kurbelumdrehungen, Tastendruck o.ä. den im Hauptzählwerk (HZW) befindlichen Wert in das Einstellwerk (EW) transportieren. Eine Ausweitung dieser Technik erfolgt dadurch, dass auch der mechanisch ausführbare Transport von Zahlen aus dem Umdrehungszählwerk (UZW) in das Einstellwerk realisiert wird und schließlich die beliebige Übertragung von Werten zwischen HZW, UZW, EW und evtl. vorhandenen Multiplikator- und sonstigen Speicherwerken ermöglicht wird. Beispielsweise steht nach Ausführung einer Division der Quotient im UZW. Es soll mit diesem Wert weitergerechnet werden, wozu der Quotient z.B. ins EW (als Multiplikand oder Divisor) oder in das HZW (als Dividend) gebracht werden muss.
Die ersten Maschinen mit Rückübertragung (RÜ) wurden 1908 von Brunsviga in den Handel gebracht: Modell Arithmotyp. Eine gleichzeitig ohne Druckvorrichtung aber mit RÜ gebaute Maschine war Modell N, ein äußerst seltenes Exemplar. Brunsviga hat offenbar damals der RÜ keine so große Bedeutung zugemessen. Zwar wird in dem Heft von Trautschold (1910) die RÜ im Zusammenhang mit dem Druckmechanismus kurz beschrieben und die rechnerischen Vorteile dargelegt, aber erst ab 1926 wird in der standardisierten Serie Brunsviga-Nova Modelle I, II, III, IV die RÜ eingebaut. Die Ende der 20-er Jahre entwickelte Modellserie 13 entbehrte wieder die RÜ; zu dieser Zeit war die eher für Spezialzwecke angebotene Brunsviga 20 das RÜ-Modell. Erst nach dem 2. Weltkrieg fand die RÜ durch Modell 13 RK eine weite Verbreitung.
Vor dem 2. Weltkrieg fand man nur in wenigen Maschinen eine RÜ, und dies nahezu ausschließlich in Sprossenradmaschinen: Mira Modelle MR, MRZ, Silent (ab ca. 1932); Odhner Modelle 25, 27, 29, 37, 39 (ab ca. 1936); Thales Modelle AR, AER, CR, CER, DER (ab ca. 1932); Triumphator Modelle CR, PR, HR (ab ca. 1932).
Bei Staffelwalzenmaschinen und Maschinen anderer Systeme gelingt die konstruktive Lösung der RÜ in den 1950-er Jahren, wenngleich Rheinmetall nach einer Prospekt-Ankündigung bereits 1938/39 alle Modelle mit RÜ ausstatten will, z.B. als Modell KEL IeR; eine Beschreibung dieser RÜ gibt Geiling (1954). RÜ haben die Modelle Diehl VSR 18, Badenia VA 17 Super, Madas ATZG, Madas 16 R (Handmaschine !), Friden SBT u.a.
Die erste Schaltklinkenmaschine mit RÜ ist das Modell Hamann E (Halbautomat von 1953) und mit RÜ sowohl aus dem HZW als auch aus dem UZW (die sogenannte Doppelrückübertragung) das Modell 300 (1954).
Im Zusammenhang mit Speicherwerken (SW) werden RÜ-Systeme gebaut, die den Wertetransport zwischen HZW und SW ermöglichen: Hamann Selecta (1930), Rheinmetall KES, SASL (ca. 1930), Mercedes Euklid 19 SV (1931). Die Modelle Euklid 37 SM und 38 SM (1935) haben eine spezielle Einrichtung zur Mehrfachmultiplikation, die einen Ersatz für die sonst notwendige RÜ darstellt. In diese Klasse von Rechenmaschinen gehört auch die Kuhrt AB (1923 - 1928), die mit einem Speicherwerk ausgestattet ist und über eine echte RÜ in das EW verfügt, siehe Anthes (1988).
Auch das Proportionalräderprinzip kann mit RÜ ausgestattet werden: Das Modell Marchant TR ("Transflo", 1959) ist der Rückübertragungsautomat dieses Fabrikats. Die Olympia RA 16 (Pendelradprinzip, 1961) kann aus beiden Werken in das EW rückübertragen, siehe Anthes (1985). Natürlich verfügen einige der "printing calculators" der 1950-er und 1960-er Jahre über RÜ: Ultra 804, Diehl Transmatic, Facit 1051, Walther 600 u.a.
Die Zunahme der Rechenmaschinen-Modelle mit RÜ zeigt, dass eine Nachfrage nach solchen Geräten bestanden hat und dass schließlich die technischen Probleme bei den unterschiedlichen Schaltprinzipien gelöst wurden. Mehrfache Produkte sind im kaufmännischen Bereich bei Fakturen notwendig, sie gehören im technisch-wissenschaftlichen Bereich zu den häufig auftretenden Aufgaben: Man denke nur an die Berechnung von Volumina.
Wie die technische Realisation im Einzelnen bewerkstelligt wurde ist für den an der Mechanik Interessierten von einiger Faszination. Vielleicht hat der eine oder andere Leser eine RÜ-Maschine und sieht sich in der Lage, eine Beschreibung des Verfahrens, auch an Hand einer Skizze, zu geben. Andere Fragestellungen ergeben sich aus der obigen Aufzählung von RÜ-Modellen, die sicher nicht vollständig ist: Welche weiteren RÜ-Fabrikate und Modelle gibt es ? Wann wurden die ersten Modelle gebaut ? Kann man etwas von den Konstrukteuren in Erfahrung bringen ? Gibt es Patentschriften ?
1 Literatur
1. Anthes, Erhard, Pendelradmaschine Olympia RA 16. In: Historische Bürowelt No. 10 (1985), S.14-15
2. Anthes, Erhard, Die Kuhrt-Rechenmaschine. In: Büro-Wirtschaft Jahrgang 1988, Heft 5, S.30-32
3. Geiling, E., Vierspeziesrechenmaschinen (Rheinmetall). In: Die Technik, Jg.9 (1954), S.677 - 684
4. Grimme, Natalis & Co., Die Trinks-Brunsviga Rechenmaschine, Braunschweig 1913
5. Trautschold, W., Die Rechenmaschine Brunsviga. Grimme, Natalis & Co., Braunschweig 1910, 2.Auflage
Abb. 1 und 2 aus Lit. 4, alle anderen Abb. vom Verfasser.
2 Copyright
Alle Rechte beim Verfasser (Erhard Anthes)
Eingestellt von: Harald Schmid 04:59, 12. Apr 2006 (IST)
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