Rechenschieber Rietz Universum
1 Rechenschieber Rietz Universum
Georg Schreiber, Tönisvorst
Vortrag, gehalten beim 2. Greifswalder Symposium zur Entwicklung der Rechentechnik 12. - 14. September 2003, erschienen in Girbardt/Schmidt 9-2003
Im Rechnerlexikon mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
Nicht selten taucht in Sammlungen und auch im Ebay ein Rietz-Rechenschieber von sehr einfacher Bauart auf, der zumeist die Bezeichnung HH Universum trägt. Auffallend ist zunächst die Skalenlänge von geschätzten 20 cm, aber die findet man auch bei älteren Nestler-Modellen. Beim Nachmessen kommt man aber auf den Wert 18,9 cm. Eine Erklärung für diese ungewöhnliche Skalenlänge konnte bisher nicht gefunden werden.
Auf Basis mehrerer Modelle aus meiner Sammlung und aus der von Klaus Przadka kann dieser Rechenschieber wie folgt beschrieben werden:
Stabkörper aus massivem Buchenholz, im Boden ein schmaler Schlitz, ohne oder mit einfachen Federelementen.
Körper mit Celluloid-Streifen belegt, diese sind mit Schrauben von 2mm Durchmesser oder mit Stiften befestigt. Bei den Streifen auf der vorderen und hinteren Kante fehlen diese teilweise.
Skalen in der üblichen Rietz-Anordnung, auf der Rückseite der Zunge nur S und T.
CI-Skala und Überteilungen sind rot.
Obere Kante 0 - 20 cm, bei einem Exemplar bis 22 cm.
Untere Kante 1:25, "auf dem Kopf stehend".
Einige Stäbe haben ein feineres Skalenbild, wahrscheinlich sind sie später gefertigt worden.
3-Strich-Läufer aus Celluloid, Glas oder Plexiglas in einem Rahmen aus Messing, Aluminium oder vernickeltem Metall. Das Celluloid ist oft gelb gefärbt, wahrscheinlich altersbedingt.
Rückseite mit aufgeklebter Tabelle aus Papier mit Werten aus Mathematik, Bauwesen, Elektro- und Maschinentechnik.
Stecketui mit Schlaufe aus Stoff, mit genarbtem Weichplastik beschichtet, ähnlich wie bei einigen REISS-Stäben. Daneben gibt es einen dunkelgrün beklebten Holzkasten mit Klappdeckel, ausgekleidet mit schwarzem Filz. Zu dieser Verpackung gehört auch eine Bedienungsanleitung auf einem Faltblatt 203 x 172 mm.
In der Sammlung Klaus Przadka gibt es ferner ein Exemplar in einem dunkelroten Pappschuber mit silbernem Aufdruck "HH". Die Bedienungsanleitung hierzu ist bis auf kleine Abweichungen in Papiergröße und -dicke und einem Druckfehler in der letzten Zeile (bis 15° statt bis 45°) identisch.
Als Herstellerangaben wurden gefunden: zumeist HH, seltener PMO, bei einem Exemplar ein nur teilweise erhaltenes Logo, möglicherweise pmo. Wenn man das Logo HH genauer betrachtet, sieht man über den Buchstaben ein Lineal und zwei Kurvenlineale sowie darunter einen Rechenschieber und einen Winkelmesser. Dadurch wird offensichtlich das Produktionsprogramm dieses Herstellers symbolisiert.
Wo und wann wurden diese Rechenschieber hergestellt?
Auf dem Bild mit dem PMO-Logo sieht man ein nachträglich aufgestempeltes Dreieck mit abgerundeten Kanten, darinnen eine 2. Wenn man davon absieht, daß die 2 auf dem Kopf steht, ist das unverkennbar das Qualitätszeichen der DDR. Auf einem anderen Exemplar ist dieses Zeichen in richtiger Ausrichtung mit einer 1 aufgestempelt. Dieses Zeichen wurde Anfang der 50er Jahre in den Stufen S, 1 und 2 eingeführt: Sonderqualität, 1. bzw. 2. Qualität.
Unter dem Logo PMO sieht man die Ziffernfolge
37/173/4018
Diese war die erste zentrale Bestellnummer der DDR, bekannt von Meissner- und REISS-Rechenstäben. Später folgten Nummern nach dem Muster 1731 xx.
Jetzt wissen wir, daß es sich um ein DDR-Produkt aus den 50er Jahren handelt. Gleichzeitig wird aber durch Vergleich mit den betreffenden Stäben auch klar, daß sie weder von REISS noch von Meissner stammen.
Ein weiterer Hinweis befindet sich in der Fußzeile der Bedienungsanleitung. Dort steht säuberlich: Hoh. Ndf. 8432. Ndb. 20641.
Bevor nun alle in Frage kommenden deutschen Ortsnamen überprüft werden konnten, erhielt ich von Peter Holland einen Rechenstab, der Klarheit brachte.
Dieser leider nicht sehr gut erhaltene Stab hat das identische Skalenbild auf der Frontseite. Einige Merkmale deuten jedoch darauf hin, daß es sich um ein älteres Exemplar handeln muß.
- Der Stabkörper ist etwas flacher und hat keine abgeschrägten Kanten, sondern ist ähnlich einer Zierleiste profiliert.
- Die cm und 1:25-Skalen fehlen.
- Die Skalierung ist unsauberer als bei den anderen Exemplaren.
- Die Skalen auf der Zungenrückseite sind auf einem Messingstreifen aufgebracht.
- Auf der Rückseite findet sich die gleiche Konstantentabelle wie auf allen anderen Stäben. Links daneben stehen folgende Angaben:
- Präzisionswerk Hohen Neuendorf A.A. Höhler
- Hohen Neuendorf bei Berlin
- Annemariestraße 27.
Das Logo "HH" ist somit aus "Höhler" und "Hohen Neuendorf" gebildet.
Auf der sehr gut gestalteten Homepage von Hohen Neuendorf, einer kleinen Gemeinde am Nordrand von Berlin, war schnell das Stadtarchiv gefunden. Leider gab es hier keine Unterlagen, aber einen Hinweis auf den dortigen Geschichtsverein. Alle nachfolgenden Angaben verdanke ich den Herren Dr. Dietrich Rätzer und Franz Noerling. Weitere wertvolle Hinweise gab Herr Jürgen Caspereit aus Berlin. Allen sei an dieser Stelle herzlich für ihre Mithilfe gedankt.
Leider konnten keine Zeitzeugen ermittelt werden, die sich an diesen Hersteller erinnern. Die Annemariestraße befindet sich in einem seit ca. 1910 entstandenen Viertel, teilweise mit gehobenem Wohnungsbestand. In der Nachkriegszeit hat es dort aber auch vereinzelt Gewerbebetriebe gegeben. Die Hausnummer 27 existiert heute nicht mehr. Nachbarn haben keine Erinnerung an einen Produktionsbetrieb in dieser Straße.
In einer unveröffentlichten "Chronik der Gemeinde Hohen Neuendorf von den Anfängen bis 1995" wird auf die Berichterstattung des Kreises über die Produktion der Betriebe für 1948/1.Halbjahr 1949 eingegangen. Nach einer Bemerkung über die unvollständigen und ungenauen Daten findet sich folgende Eintragung:
A. A. Höhler, produziert Rechenschieber, gegründet nach 1945, 2 männliche Arbeiter
Neben dieser Bestätigung der Existenz des Rechenschieber-Herstellers Höhler nach 1945 gibt es aber noch drei weitere interessante Eintragungen, die sich auf die Zeit davor beziehen:
- Schlecht & Roth, Mechanische Werkstatt, Oranienburger Str. 74
- Ewald Schlecht 1944, Teile für Rechenschieber, Vorrichtungen und Feuerzeuge
- Ewald Schlecht 1945, 3000 Rechenschieber hergestellt, 3 Mitarbeiter
Es kann wohl angenommen werden, daß diese die Vorläufer der Firma Höhler Hohen Neuendorf waren.
Unbeantwortet bleibt die Frage, bis wann die Produktion gelaufen ist. Aus der Tatsache, daß die meisten bekannten Exemplare das DDR-Qualitätszeichen noch nicht tragen, wird das Ende für den Zeitraum Anfang bis Mitte, spätestens Ende der 50er-Jahre anzusetzen sein.
Bisher wurde nur über den Rietz Universum berichtet. Es gibt jedoch auch einen Stab, der auf der Vorderseite das identische Skalenbild trägt, allerdings auf einer matten Metallbelegung, anstatt Celluloid aufgetragen. Der Stabkörper entspricht der alten Ausführung ohne abgeschrägte Kanten. Die Skalen cm und 1:25 befinden sich auf der Rückseite. Diese ist jedoch anders gestaltet und trägt der Firmierung "AIG Berlin".
Auch zu dieser Bezeichnung wie auch zu dem Logo "PMO" konnten bisher keine Hinweise gefunden werden.
Leider blieben die Nachforschungen insgesamt ziemlich unbefriedigend. Mit Höhler konnte jedoch ein weiterer deutscher Rechenschieber-Hersteller identifiziert werden, der für einen kurzen Zeitraum ein eng umgrenztes Programm in nicht sehr hohen Stückzahlen hergestellt hat. Weitere Ergänzungen und Korrekturen werden gerne entgegengenommen. Klaus Przadka sei an dieser Stelle für seine Mithilfe herzlich gedankt.
Anschrift des Verfassers:
- Georg Schreiber
- D-47918 Tönnisvorst, Berliner Str. 269
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