Physikalische Analogien und Ziffernrechenmaschinen Teil 1
Physikalische Analogien und Ziffernrechenmaschinen - Von mechanischen Rechengeräten zu Integrieranlagen und
programmgesteuerten Maschinen.
Teil 1
Andreas Brennecke, Paderbornaus Schmidt/Girbardt 2000
Im Rechnerlexikon mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
- Physikalische Analogien und Ziffernrechenmaschinen
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1 Zusammenfassung
In Darstellungen der Geschichte der Rechentechnik und Datenverarbeitung werden häufig zwei anscheinend voneinander getrennte Entwicklungslinien aufgezeigt, die üblicherweise als analog und digital bezeichnet werden. Eine strikte Trennung ist historisch nicht zu begründen. Mathematische Instrumente und Ziffernrechenverfahren wurden parallel genutzt und haben sich gegenseitig in ihrer Entwicklung beeinflusst. Ziffernrechenverfahren werden in der Schule gelehrt und in Form von Algorithmen im modernen (digitalen) Computer angewandt, (analoge) mathematische Instrumente spielen keine Rolle mehr und sind heute kaum noch bekannt. Anhand historischer Artefakte - von der Antike bis ins 20te Jahrhundert - wird ein Einblick in die Technik "analoger Geräte" gegeben. Dabei werden vor allem die unterschiedlichen Prinzipien und Arbeitsweisen dieser Rechengeräte, Instrumente und Computer behandelt. Die Einteilung in zwei Klassen sowie die Verwendung der Begriffe analog und digital ist seit Mitte des 20ten Jahrhunderts üblich. In dieser relativ kurzen Zeitspanne - bezogen auf die tausendjährige Entwicklung technischer Hilfsmittel für das Rechnen - wurden mit dem Begriff analog verschiedene Aspekte des Rechnens betont. Es zeigt sich, dass der heute am wenigsten bekannte Aspekt - ein Analogrechner stellt eine physikalische Analogie zu einem mathematischen Problem dar - zugleich die eigentliche Qualität analogen Rechnens ausmacht. Dieser Aspekt ist heute nicht einmal mehr in Wörterbüchern der Informatik zu finden. Die Funktionsweise fortgeschrittener Analogrechner - womit im Wesentlichen der Differential Analyser und dessen Nachfolger gemeint sind - wird dem Prinzip programmgesteuerter Digitalrechner gegenübergestellt. Wie sieht es mit der Genauigkeit und der Zuverlässigkeit analoger und digitaler Verfahren aus? Wie wird ein Analogrechner programmiert? Da Analogrechner nicht programmgesteuert sind, scheint sich ein Widerspruch zu ergeben. Die Programmierung sowohl von Analogrechnern als auch von Digitalrechnern wird deshalb näher betrachtet und die Frage nach dem Wesen von Programmierung ganz allgemein gestellt. Aus solchen Betrachtungen ergeben sich Anzeichen, warum Analogrechner (fast ganz) verschwunden sind und heute ausschließlich Digitalcomputer verwendet werden. Der Beitrag stellt kein neues historisches Material vor, sondern zeigt aus Sicht eines Ingenieurs und Informatikers wie sich digitales und analoges Rechnen voneinander unterscheiden. Dabei werden die Merkmale der unterschiedlichen Verfahren hervorgehoben, um letztendlich auch ein besseres Verständnis für die Wirkungsweise "des modernen Computers" zu erlangen.
2 Einleitung
Heutzutage wird mit Computer automatisch eine digital arbeitende elektronische (Rechen-)Maschine assoziiert. Bis in die Mitte des 20ten Jahrhunderts wurden mit dem Begriff Computer jedoch Menschen bezeichnet, die teilweise mit mechanischen Tischrechenmaschinen ausgestattet aufwendige Berechnungen durchführten. Weiterhin wird kaum noch wahrgenommen, dass es aus heutiger Sicht zwei Klassen von Recheninstrumenten und Rechenmaschinen gab, die wir mit den Begriffen analog und'' digital'' charakterisieren. Obwohl wir ein intuitives Verständnis von analog und digital haben, ist ihre exakte Bedeutung nicht sofort ersichtlich. Betrachtet man verschiedene Definitionen in Lexiken oder Büchern der Informatik, so wird deutlich dass es keine einheitlich akzeptierte Definition gibt. Im Sprachgebrauch treten somit Probleme auf, die einer näheren Betrachtung bedürfen. Beispielsweise wird häufig analog mit kontinuierlich gleichgesetzt, dabei bewegt sich der Zeiger fast jeder Analoguhr schrittweise, also nicht kontinuierlich sondern diskret. Weiterhin gab es in der Tradition der Analogrechentechnik entwickelte aber diskret arbeitende Rechner, bei denen nicht sofort klar ist, ob sie mit analog oder digital zu bezeichnen sind. Eine historische Betrachtung soll helfen, solche Missverständnisse aufzuklären. Der Artikel bereitet dazu nicht die Geschichte der Analogrechentechnik in allen Facetten auf. Hierzu wird auf weiterführende Literatur verwiesen. Als Informatiker geht es mir vielmehr darum, durch die Betrachtung einzelner Artefakte ein fundierteres Verständnis von Begriffen und Konzepten zu erlangen. Die Geschichte der Analogrechentechnik stellt zudem keine eigenständige Entwicklungslinie dar, sondern war eng mit digitalem Rechnen verknüpft. Analogrechner hatten beispielsweise maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung digitaler programmgesteuerter Rechenmaschinen in den USA. Auf die historische Darstellung solcher Beziehungen und kausaler Entwicklungslinien wird überwiegend verzichtet, im Vordergrund soll die unterschiedliche Funktionsweise der Geräte stehen.
3 Artefakte aus der Geschichte des analogen Rechnens
Analoge Rechengeräte gab es bereits in der Antike. Schon von den Griechen wurden Astrolabien gebaut, mit deren Hilfe die Positionen der Gestirne am Firmament zu einem gegebenen Datum oder aus dem Stand der Gestirne die (lokale) Uhrzeit bestimmt werden kann. Astrolabien bestehen aus gegeneinander verdrehbaren Metallplatten sowie Zeigern, auf denen Koordinaten, Winkel- und Zeitskalen, Sternzeichen sowie weitere Hilfslinien eingraviert sind (siehe Abbildung 1). Nach dem manuellen Einstellen der Scheiben und Zeiger lassen sich einzelne astronomische Werte ablesen. Es gab weiterhin Geräte, deren Einstellung sich fortwährend - entweder manuell oder durch einen Mechanismus angetrieben - veränderte, wodurch die angezeigten Positionen der Gestirne analog zu den beobachtbaren Positionen am Firmament wandern. Das älteste bekannte solche Gerät - nach seinem Fundort als Antikythera-Mechanismus bezeichnet - stammt aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. Eine Röntgenanalyse des nicht mehr funktionsfähigen Mechanismus ergab, dass er die Bewegung der Sonne im Tierkreis, Mondphasen sowie Auf- und Untergänge der hellen Sterne angezeigt haben muss (vgl. Aspray 1990 sowie Williams 1997).
Abb. 1: "Astrolab aus der Kunstkammer Rudolphs II., Erasmus Habermel, Prag 1588" (aus Weinhart 1990, Bild 3).
Diese Geräte waren speziell auf astronomische "Berechnungen" zugeschnitten. Aber auch zur Lösung allgemeiner Probleme bediente man sich verschiedenster nicht rechnerischer Methoden. Im Altertum wurden viele Probleme geometrisch mit Lineal und Zirkel gelöst. Zur Vereinfachung geometrischer Konstruktionen und Berechnungen wurden später eine Reihe von geschlitzten und/oder mit Gelenken verbundenen Linealen entworfen. Darauf wurden verschiedene Skalen für spezielle (beispielsweise trigonometrische) Funktionen angebracht. Mit Hilfe eines Zirkels konnten dann einzelne Werte bestimmt werden. Im 17. Jahrhundert erlangten Quadranten (siehe Abbildung 2, links) und Proportionalzirkel als wichtige Rechenhilfsmittel eine weite Verbreitung. Mit ihnen war neben dem Ablesen geometrischer und astronomischer Skalen unter Zuhilfenahme eines Zirkels auch das Multiplizieren und Dividieren möglich.
Die Einführung logarithmischer Skalen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts reduzierte die Multiplikation zweier Zahlen auf die Addition von zwei logarithmischen Strecken - ebenfalls mit Hilfe eines Zirkels. Einfacher wurde das Rechnen mit logarithmischen Skalen durch die Einführung des Rechenschiebers, bei dem zwei oder mehr Skalen gegeneinander verschoben werden können. Das Problem bei all diesen Geräten ist die geringe Genauigkeit (2 - 4 Dezimalstellen), die durch Verlängerung der Skalen erhöht werden kann. Man konstruierte für genauere Berechnungen längere Rechenschieber oder ordnete die logarithmischen Skalen auf Walzen an (siehe Abbildung 2, rechts).
Bei allen bisher beschriebenen Instrumenten ist das Ergebnis immer direkt von der Einstellung abhängig. Beispielsweise ergibt die Multiplikation durch Aneinanderlegen zweier logarithmischer Skalen (innerhalb einer gewissen Genauigkeit) immer das selbe Resultat, das für weitere Berechnungen in einem anderen Medium aufbewahrt werden muss - meist durch Aufschreiben auf Papier. Zur Vereinfachung vieler Rechnungen ist es von Vorteil, dieses Übertragen von Werten zu reduzieren und Zwischenergebnisse direkt weiterverwenden zu können. Beim Ausrechnen eines bestimmten Integrals wird das Ergebnis durch eine Summation von Funktionswerten erzielt, wobei der jeweils aktuelle Funktionswert zum bisherigen Wert addiert wird. Solch ein "Aufsummieren" lässt sich mit speziellen mechanischen Integratoren durchführen, bei denen im Integrator das Zwischenergebnis "gespeichert" wird (vgl. Aspray 1990, S. 167). In der ersten Hälfte des 19ten Jahrhunderts, wurden eine Reihe sogenannter Planimeter (siehe Abbildung 3) entwickelt, mit denen graphisch aufgezeichnete Funktionen integriert und Flächeninhalte bestimmt werden konnten.
Abb. 3: Links: Welti Planimeter von 1849, mit dem sich die Fläche einer gezeichneten Fläche durch Umfahren bestimmen lässt. Die Bewegung des Stiftes in der einen Richtung steuert die Drehung der Scheibe des Integrators, während eine Bewegung in der anderen Richtung für das Verschieben der Scheibe unter dem kleinen Rädchen verantwortlich ist; Rechts: Beim Amsler Planimeter ist das "speichernde" Integrationsglied kleiner und das Planimeter einfacher handhabbar. Ein Flächeninhalt wird ebenfalls durch Umfahren derselben bestimmt. (aus Aspray 1990, S. 168, 169).
Die Planimeter benötigen ein Element, das die Integration des sich ändernden Funktionswertes ermöglicht. Dazu lässt sich beispielsweise ein Scheibenintegrator einsetzten, der später in größeren Analogrechenmaschinen Verwendung fand. Beim Welti Planimeter in Abbildung 3 ist der Scheibenintegrator des Planimeters gut erkennbar. Seine Funktion wird in Abbildung 4 erläutert.
Im 19ten Jahrhundert wurden weiterhin mechanische Geräte zur Bestimmung der für die Seeschifffahrt wichtigen Wasserpegelstände entwickelt. Da die Gezeiten im Wesentlichen von periodischen Ereignissen wie den Gravitationskräften der sich ändernden Stellungen von Sonne und Mond im Verhältnis zur Erde oder der Erdrotation abhängig sind, lassen sich die Pegelstände von Ebbe und Flut durch eine Summe periodischer Funktionen (eine sogenannte Fourierreihe mit Sinus- und/oder Kosinus-Termen z. B. y = A_1 \sin(\omega{}_1t+\lambda{}_1) + A_2 \sin(\omega{}_2t+\lambda{}_2) + ... näherungsweise bestimmen. Sind die Konstanten (A_i, \omega{}_i, \lambda{}_i) der Funktion bekannt, so ist es möglich die Werte der Funktion - also die Pegelstände - vorauszuberechnen. Von William Thomson (später Lord Kelvin) wurden sowohl zur Bestimmung der Funktionskonstanten als auch zur Berechnung solcher Funktionen mechanische Geräte entwickelt.
Kelvins Tide-predicting machine zeichnet den Funktionsverlauf nach Einstellung der Konstanten für die einzelnen harmonischen Terme auf eine Papierrolle auf (siehe Abbildung 5, links). Die Amplituden und Phasenverschiebungen der einzelnen Terme werden an den kleinen Scheiben eingestellt. Dabei wird der Mittelpunkt einer Seilrolle mechanisch auf der Scheibe verschoben. Die Scheibe dreht sich bei der "Berechnung", wobei mathematisch gesehen der Mittelpunkt der Seilrolle in vertikaler Richtung genau die Sinusfunktion mit der Amplitude (A_i) und der Phasenverschiebung (\lambda{}_i) ausführt. Die verschiedenen Frequenzen (\omega{}_i) für die Drehung der Scheiben werden durch Zahnradübersetzungen erzeugt. Die Summation der einzelnen Terme erfolgt über das umlaufende Seil und wird unten auf der Papierrolle aufgezeichnet. Angetrieben wird die Maschine durch eine Handkurbel.
Zur mechanischen Bestimmung der einzelnen Koeffizienten wurde ebenfalls von Lord Kelvin der Harmonic Analyser entworfen (siehe Abbildung 5, rechts). Bei ihm wurde durch "Abtastung" einer bekannten aufgezeichneten Tidefunktion unter Einsatz von Kugelintegratoren - diese entsprechen in der Funktion den oben beschriebenen Scheibenintegratoren - die einzelnen Koeffizienten der Fourierreihe durch Integration bestimmt (schematisch dargestellt in Abbildung 6).
Abb. 5: Links: Kelvins Tide-predicting machine; Rechts: Kelvins Harmonic Analyser (aus Aspray 1990, S.173, 175).
Abb. 6: Prinzipskizze von Kelvins Harmonic Analyser: Die auf dem Papierstreifen aufgezeichnete Funktion "steuert" die Verschiebung der Kugeln der Integratoren. Die Scheiben der Integartoren werden entsprechend der harmonischen Funktion (\cos{}\omega{}(t), \sin{}\omega{}(t), ...) gedreht und als Ausgabe wird die Amplitude der harmonischen Terme aufgezeichnet (Aspray 1990, S. 175). Lord Kelvin zeigte bereits, dass sich durch eine rückgekoppelte Zusammenschaltung der Kugelintegratoren seines Harmonic Analysers prinzipiell auch Differentialgleichungen beliebigen Grades lösen lassen. Das von den Kugelintegratoren übertragene Drehmoment reichte jedoch nicht aus, um mehrere mit Reibung behaftete mechanische Elemente miteinander zu verbinden. In den 1920er Jahren wurde unter der Leitung von Vannevar Bush am MIT ein Gerät zur Behandlung von Differentialgleichungen zweiter Ordnung - der sogenannte Produktintegraph - entwickelt. Bei diesem wurden ein elektrischer Stromzähler - der die verrichtete Arbeit p(t) als das Integral des Produkts von Spannung u(t) und Strom i(t) über die Zeit t "berechnet" und somit p(t) = \int{} u(t) i(t) dt in Form einer mechanischen Drehung ausgibt - und ein Scheibenintegrator als zweites Integrationsglied miteinander verbunden (vgl. Owens 1986). Dabei stellte sich der mechanische Scheibenintegrator als das einfachere und genauere Integrationsglied heraus. Um mehrere Scheibenintegratoren zusammenschalten zu können, musste jedoch das Problem der Ungenauigkeit durch Reibung und Schlupf gelöst werden. Harold Hazen, ein Mitarbeiter Bushs schlug vor, einen von C. W. Niemann entwickelten mechanischen Drehmomentverstärker einzusetzen. Damit konnten nun (in der ersten Version) sechs Scheibenintegratoren zusammen mit anderen mechanischen Rechengetrieben (Zahnradübersetzung als Konstantenmultiplizierer, Differentialgetriebe als Addierer) sowie manuell bedienbare Eingabetische für spezielle Funktionswerte und Ausgabetische zum Aufzeichnen der Ausgabefunktion gekoppelt werden (siehe Bush 1931 oder Hartree 1940). Die einzelnen Rechenelemente wurden mit den parallel verlaufenden sogenannten Bus-Wellen verschraubt (die in Abbildung 7 von oben links zum rechten Bildrand verlaufen), wobei jede Welle einen Term der Differentialgleichung repräsentiert (in dem beschrifteten Schaltschema in Abbildung 8 gut zu erkennen). Da der Umbau für eine neue Differentialgleichung sehr aufwendig war, wurde dieser Differential Analyser im Wesentlichen dort eingesetzt, wo eine Differentialgleichung für sehr viele Werte berechnet wurde. Beispielsweise bestimmte man während des zweiten Weltkriegs Geschossflugbahnen (Trajektorien) mit unterschiedlichen Koeffizienten und Anfangsbedingungen, um daraus Schießtabellen zu generieren. Der Differential Analyser wurde auf der ganzen Welt nachgebaut und hat die Entwicklung des ENIAC (Electronic Numerical Integrator and Computer) maßgeblich beeinflusst, der als schnelles elektronisches Pendant zum an der Moore School eingesetzten Differential Analyser geplant wurde. Der ENIAC wiederum gilt als wichtiger Ausgangspunkt für die Entwicklung elektronischer Rechner (siehe Burks, Burks 1981).
Abb. 8: Schaltschema für einen Differential Analyser zur Lösung der Differentialgleichung eines fallenden Körpers: dx/dt = - \int{}(k dx/dt + g(x)) dt. Die Lösung dieser Differentialgleichung 2. Ordnung benötigt zwei Scheibenintegratoren (unten links). Jede Bus-Welle auf dem Tisch repräsentiert einen Term der Gleichung. An den Wellen werden des weiteren ein Konstantenmultiplizierer (K) sowie ein Addierer/Differentialgetriebe (S) montiert. Ein Eingabetisch "tastet" die Funktion g(x) ab. Durch die Drehung der Welle für die unabhängige Variable t (oben) wird die gewünschte Funktion x(t) auf dem Ausgabetisch aufgezeichnet (aus Owens 1986). Da der Umbau des mechanischen Differential Analysers sehr aufwendig war, wurde der zweite große Differential Analyser von Vannevar Bush 1942 zwar mit Scheibenintegratoren, aber mit "elektronischen Wellen" gebaut (siehe Hartree 1947, Chapter 2 - The Differential Analyser, S. 4 - 25). Später wurden Analogrechner ganz aus elektronischen Bauelementen aufgebaut. Diese als "universelle" Analogrechner bezeichneten Geräte verloren mit der Entwicklung der elektronischen Digitalrechner zunehmend an Bedeutung, wurden aber noch lange nach dem zweiten Weltkrieg eingesetzt. Sie fanden als Prozessrechner zur Anlagensteuerung und für spezielle Probleme (Differentialgleichungen, Simulationen, Optimierungsprobleme, ...) Verwendung, bei denen es nicht auf hohe Genauigkeit ankam. Ihr Vorteil lag in der Echtzeitverarbeitung da alle Bauteile unmittelbar auf Wertänderungen reagieren. Noch Ende der 1960er Jahre ist zu lesen: "Gelegentlich ausgesprochene Vermutungen, der Analogrechner werde im Zuge der weiteren Entwicklung der Digitaltechnik an Bedeutung verlieren, haben sich bisher nicht bewahrheitet." (Adler 1968, S. 5) Eine Vielzahl von Büchern belegen bis in die 1970er Jahr den Einsatz von elektronischen Analogrechnern. Neben der Entwicklung von Integrieranlagen wurden eine Vielzahl spezieller mechanischer - später auch elektronischer Rechengeräte - beispielsweise zur Lösung linearer Gleichungssysteme entwickelt. Joseph Nowak konstruierte um 1915 ein Zahnradgetriebe zur Lösung von 5 Gleichungen mit 5 Unbekannten (siehe Weinhart 1990, S. 47). Gleichungssysteme mit bis zu 9 Gleichungen und 9 Unbekannten konnte J. B. Wilbur Anfang der 1930er Jahre mit einem Seilrollenmechanismus lösen. Die Idee dazu wurde schon von Lord Kelvin Ende des 19ten Jahrhunderts veröffentlicht (siehe Aspray 1990, S. 177f oder Meyer zur Capellen 1949, S. 132f). Bei diesen Geräten fand kein dynamischer Ablauf in der Zeit statt, sondern nach dem Einstellen der Koeffizienten stellte sich ein stabiler Zustand ein, der direkt der Lösung des Gleichungssystems entsprach. Die Einrichtung des Rechners von Wilbur für ein Gleichungssystem war aufwendig, "für 9 Gleichungen gebraucht[e] man etwa 1 - 3 Stunden" (Meyer zur Capellen 1949, S. 133). Gemessen an dem Aufwand, der für ein solches Gleichungssystem mit einer Handrechenmaschine erforderlich gewesen wäre (bei 6 - 10 Unbekannten etwa 6 - 20 Stunden; Meyer zur Capellen 1949), bedeutete dies dennoch eine enorme Zeitersparnis. Viele solcher speziellen Probleme konnten später mit einem universellen elektronischen Analogrechnern gelöst werden, z. B. konnten Operationsverstärker - die Grundelemente elektronischer Analogrechner - zur Lösung eines lineares Gleichungssystems verschaltet werden (vgl. Jackson 1960, S. 335ff oder Sydow 1974, S. 98ff). Die Größe des zu lösenden Problems ist dabei allerdings von der Anzahl der zur Verfügung stehenden Elemente abhängig. Generell ist beim Analogrechner der "Hardwareaufwand" immer von der Problemgröße abhängig. So beschränkt die Anzahl der Integratoren den maximalen Grad der zu lösenden Differentialgleichung. Andersherum war es möglich für kleine Probleme, Rechner mit geringem Aufwand und geringen Kosten zu produzieren, bzw. konnten schon vor dem Aufkommen der universellen elektronischen Analogrechner mit aus heutiger Sicht geringem Hardware-Aufwand analoge Spezialrechner gebaut werden:
- Der Fahrdiagraph war eine spezielle Integrieranlage, um die Fahrgeschwindigkeit und die Fahrzeit eines Zuges längs der Fahrstrecke in Abhängigkeit vom Streckenprofil zu bestimmen. Schon 1914 wurde ein solches Gerät basierend auf zwei Schneidenrad-Integraphen entwickelt, deren Schneidenräder auf einem Zylinder abrollen. (Weinhart 1990).
- Helmut Hoelzer entwickelte während des zweiten Weltkriegs einen "Bordrechner" für die deutsche V2-Rakete. Sein analoges Mischgerät ermittelte aus Kursabweichungen und einem steuernden Funksignal die Korrekturen der Rudereinstellungen, wobei nur wenige Röhren als Verstärkerelemente eingesetzt wurden. (vgl. Hoelzer 1994 oder Lange 2000).
- Auch die Abwehr der deutschen V-Waffen wurde durch Analogtechnik unterstützt. Der M-9 Gun Director wurde ab 1943 sehr erfolgreich zur Geschützsteuerung an der englischen Küste gegen die deutschen V1-Raketen eingesetzt (siehe Aspray 1990 und Clymer 1993).
In dem geschichtlichen Überblick wurden nur einige Entwicklungen der analogen Rechentechnik erwähnt. Ausführlichere historische Beschreibungen finden sich beispielsweise in Aspray (1990), S. 156 - 199 oder Williams (1997), S. 191 - 208. Der Katalog der Ausstellung Informatik und Automatik des Deutschen Museums (Weinhart 1990) zeigt und beschreibt eine Vielzahl analoger Instrumente und Rechner. In Horsburgh (1914) werden die zu Beginn des 20ten Jahrhunderts gebräuchlichen mathematischen Geräte - nicht nur für analoges Rechnen - vorgestellt. Der mathematische Hintergrund zu vielen analogen Geräten wird in Meyer zur Capellen (1949) behandelt.
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