Rechenwalzen, die Rechenschieber mit den langen Skalen Teil 1
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1 Rechenwalzen, die Rechenschieber mit den langen Skalen, Teil 1
Heinz Joss, Dällikon/SchweizTei 1 des Vortrags, gehalten beim 1. Greifswalder Symposium zur Entwicklung der Rechentechnik 15. - 17. September 2000, erschienen in Schmidt/Girbardt_2000
Im Rechnerlexikon mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
- Rechenwalzen, die Rechenschieber mit den langen Skalen
- Teil 1: Einleitung, Terminologie, Wie es zur Rechenwalze kam
- Teil 2: Die Rechengenauigkeit, Die Skalenlänge, und wie sie am einfachsten gemessen wird, Anzahl der Skalenabschnitte sowie Zylinderlänge und -umfang, Überteilungen und Zylinderlänge
- Teil 3: Die Bauweise, Sonderskalen und Zusatzausrüstungen, Zusatzausstattungen, Walzen als Dreh-Tabellen oder Dreh-Schiebe-Tabellen
- Teil 4: Marken und Typen: Billeter, Daemen-Schmid bzw. später Loga, National, Nestler, No Name, Numa, Reciloga, Thatcher, Tröger
- Teil 5: Die Datierung von Rechenwalzen, Falsches, Lustiges und Skurriles
- Teil 6: Schlusswort, Dank, Literatur und Quellen
- Teil 7: Abbildungen
1.1 Einleitung
Ich habe 1998 für das damalige Internationale Treffen der Rechenschiebersammler eine Aufstellung der Rechenschieber mit schweizerischen Marken gemacht. Die bedeutendsten unter ihnen, die Marken Daemen-Schmid, Loga, Billeter und National, alle vier Hersteller auch von Rechenwalzen, habe ich in einem anderen Beitrag mit ihrer Entwicklungsgeschichte näher beschrieben. Beide Beiträge wurden im betreffenden Tagungsbericht publiziert (vgl. Abschnitt «Literatur und Quellen»). Meine seither weitergeführte Sammler- und Forschertätigkeit hat in der Zwischenzeit auch auf dem Gebiet der Rechenwalzen zu erweiterten Erkenntnissen geführt. Deshalb, und weil - verglichen mit Rechenstäben - die Walzen noch wenig systematisch erfasst worden sind, habe ich den Vorschlag der Uni Greifswald begrüsst, an dieser Tagung das Thema Rechenwalzen zu behandeln. Diese mir gestellte Aufgabe hat nicht zuletzt dazu geführt, dass ich mich selber intensiver mit den Rechenwalzen meiner Sammlung auseinandergesetzt habe und damit auch wieder zu neuen Erkenntnissen gelangt bin.
1.2 Terminologie
Gestatten Sie mir eine kurze Bemerkung zur Terminologie, die ich der grösseren Klarheit halber hier verwenden werde: Der Rechenstab wird bis heute meistens als Rechenschieber bezeichnet, was begrifflich nicht ganz präzise ist. Rechenschieber sind nach meiner Meinung alle analogen Recheninstrumente, bei denen zum Rechnen eine Skala entlang einer anderen Skala verschoben wird. Ich verwende deshalb die Bezeichnung Rechenschieber als Oberbegriff; Unterbegriffe sind Rechenstab, -scheibe und -walze sowie die Bezeichnungen für andere, weniger übliche Bauformen.
Mit Rechenwalze bezeichne ich die Rechenschieber mit auf einem Zylinder angeordneten, geraden, parallelen Skalenabschnitten. Die zylindrischen Rechenschieber mit schraubenlinien-förmigen Skalen, wie der Otis King, bezeichne ich zur besseren Unterscheidung als Rechenzylinder; das ist zweckmässig, wenn vielleicht auch sprachlich nicht ganz logisch. In diesem Vortrag behandle ich diese Rechenzylinder allerdings nicht. Es gibt darüber bereits Literatur.
Für die Teile der Rechenwalze verwende ich die Begriffe Zylinder, Manschette und Gestell. Die übrigen Begriffe ergeben sich aus dem Zusammenhang.
Der Begriff Manschette bedarf einer Erläuterung. In der Literatur ist meist von Schieber oder gar Läufer die Rede. Ich habe den Begriff Manschette gewählt, um eine deutliche Unterscheidung zur Zunge (oft auch Schieber genannt) bzw. zum Läufer des Rechenstabes zu erhalten. Im Gegensatz zur Zunge des Rechenstabes kann die Manschette nicht nur verschoben, sondern auch verdreht werden. Ein Gegenstück zum Läufer des Rechenstabes gibt es bei der Rechenwalze nicht, da ein Läufer wegen des äusserst beschränkten Skalenangebots (in der Regel ist es ein einziges Skalenpaar) auch nicht erforderlich ist.
Noch ein Wort zum Begriff Länge: Wo nichts anderes angegeben ist, ist damit die Skalenlänge des Rechenschiebers gemeint.
1.3 Wie es zur Rechenwalze kam
Um eine höhere Genauigkeit zu erreichen, musste der damals vorherrschende Rechenstab immer länger gemacht werden; Serienstäbe waren in der Regel 12,5 cm oder 25 cm lang, für höhere Genauigkeit gab es solche von 50 cm und sogar von 1 m. Für Rechenaufgaben mit noch höheren Ansprüchen an die Genauigkeit waren auch sie nicht ausreichend. Was tun?
Man stelle sich beispielsweise einen Rechenstab von 10 m Länge vor. Kaum herstellbar, kaum überblickbar und schon gar nicht zu handhaben. Wenn man diesen fiktiven Stab aber in 50 gleich lange Einheiten von je 20 cm zerlegt, die Teile mit den nötigen Überteilungen versieht und ein Gegenstück ohne diese Überlängen verschiebbar darüber anbringt, kann etwas durchaus Brauchbares entstehen, nämlich ein Rechenrost (slide rule of grid-iron type) wie der englische Hannyngton von Aston & Mander Ltd., London, 1885 (Angaben Museum of Science, London). Nimmt man an Stelle des oberen Rosts, der die Funktion der Zunge eines Rechenstabes hat, eine Glasplatte, gibt es die Bauform der Rechentafel wie jene von Julius Billeter, Zürich, deren Produktion 1888 begann. Mit solchen Rechenrosten und -tafeln lassen sich leicht Skalenlängen von mehreren Metern erreichen.
Das Patent auf die Thatcher-Rechenwalze datiert von 1881. Eine andere alte Rechenwalze war jene von Tröger; die nichtmetrische Skalenlänge von 5 Bayerischen Fuss deutet auf eine Produktion aus der Zeit vor 1872 hin, dem Jahr, in dem das metrische System eingeführt worden ist.
Ältere Rechenroste, -tafeln oder -walzen sind mir nicht bekannt; das heisst aber nicht, dass es sie nicht gegeben hat. - Im Journal of the Oughtred Society (Bd. 9, Nr. 1, S. 48) ist eine Rechentafel von Gilson, U.S.A., abgebildet, die aber nicht älter als von 1915 sein kann; sie sieht der rund 25 Jahre älteren Tafel von Billeter äusserst ähnlich. - In den Unterlagen zum Sammlertreffen in Ede 2000 ist eine Art Rechenrost abgebildet, der unter dem Namen Logartabla von Maroti in Ungarn hergestellt worden ist; ihr Alter ist nicht bekannt, die Typographie scheint mir auf die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg hinzudeuten. - Wieder etwas Ähnliches hat ein Sammlerfreund letztes Jahr entdeckt, ein Rechenrost, der in Deutschland unter der Marke Lori Rechenrost um das Jahr 1960 wieder produziert worden ist. Die alten Entwicklungsformen haben sich also bis in die allerjüngste Zeit fortgepflanzt.
Rechenroste und Rechentafeln haben wohl nur geringe Verbreitung erfahren, auf jeden Fall sind nur wenige Exemplare erhalten geblieben.
Rechenwalzen dagegen wurden in grossen Stückzahlen produziert. Sie sind aus der Idee entstanden, den Rechenrost in eine zylindrische Form zu bringen: Man hat die bereits beschriebenen Skalenabschnitte als Mantellinien auf einem Zylinder angeordnet, und die Funktion der Zunge des Rechenstabs ist von einer Manschette übernommen worden, die verschieb- und verdrehbar über den Zylinder gestülpt ist. Dahinter steckt immer noch dieselbe Überlegung, die der Umwandlung des Rechenstabes zum Rechenrost und zur Rechentafel zugrundelag, nämlich die Erhöhung der Rechengenauigkeit durch Verlängerung der Skalen. Aus der Rechentafel wurde durch geometrische Umwandlung der Ebene in eine Zylinderfläche eine Rechenwalze.
Zeitlich begann die Produktion von Rechenwalzen wahrscheinlich um 1881 mit der Patentierung der Thatcher's Slide Rule (Datierung nach Museum of Science, London); die Walze ist offenbar von Keuffel & Esser produziert worden. Julius Billeter, Zürich, baute ab 1888 gleichzeitig und nebeneinander Tafeln, Walzen und Scheiben. Dass Rechenwalzen zu jener Zeit etwas Aussergewöhnliches waren, lässt sich u.a. daraus ersehen, dass das Musée du Concervatoire National des Arts et Métiers in Paris im Jahre 1895 als Gabe eines Herrn Goldsmith eine Billeter-Rechenwalze erhalten hat (Objekt Nr. 12.674.-E. im Museumskatalog von 1942). Wären Walzen damals schon Allgemeingut gewesen, hätte Herr Goldsmith nie die Idee gehabt, einem Museum ein solches Objekt zu schenken.
Rechenwalzen gab es mit Skalenlängen von bis zu 24 m. Die damit erzielte Genauigkeit machte sie geeignet für den Einsatz im Bereich von Banken, Börsen und Finanzabteilungen von Grossfirmen. Sie wurden ab den 1930er-Jahren sukzessive von den mechanischen und später von den elektrischen Rechenmaschinen verdrängt, blieben aber teilweise bis zum Siegeszug des elektronischen Rechners im Einsatz. Ich besitze ein Bild, auf dem eine Rechenwalze getreulich neben einer elektrischen Rechenmaschine ihren Platz auf dem Tisch eines Buchhalters in einer schweizerischen Textilmaschinenfabrik verteidigt hat. Sie ist für bestimmte Aufgaben weiterhin benützt worden, da sie ohne das aufwendige Eintippen von Zahlenreihen ausgekommen ist.
Ich muss die hier folgende Darstellung von Rechenwalzen weitgehend auf Exemplare meiner Sammlung beschränken, da mir bei der Ausarbeitung nur wenige andere Angaben zur Verfügung standen. Die Walzen meiner Sammlung, meinem Standort und meinen thematischen Spezialitäten entsprechend, sind vorwiegend schweizerischen Ursprungs. Das ist aber sicher auch insofern eine berechtigte Schwerpunktbildung, als die schweizerischen Rechenwalzen wahrscheinlich auch die grösste Bedeutung auf dem Weltmarkt gehabt haben.
1.4 Abbildungen
Loga 2,4 m
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- Teil 1: Einleitung, Terminologie, Wie es zur Rechenwalze kam
- Teil 2: Die Rechengenauigkeit, Die Skalenlänge, und wie sie am einfachsten gemessen wird, Anzahl der Skalenabschnitte sowie Zylinderlänge und -umfang, Überteilungen und Zylinderlänge
- Teil 3: Die Bauweise, Sonderskalen und Zusatzausrüstungen, Zusatzausstattungen, Walzen als Dreh-Tabellen oder Dreh-Schiebe-Tabellen
- Teil 4: Marken und Typen: Billeter, Daemen-Schmid bzw. später Loga, National, Nestler, No Name, Numa, Reciloga, Thatcher, Tröger
- Teil 5: Die Datierung von Rechenwalzen, Falsches, Lustiges und Skurriles
- Teil 6: Schlusswort, Dank, Literatur und Quellen
- Teil 7: Abbildungen
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